Gengenbach, den 20.April 2023
Die Besetzung der Ortschaft Ortenberg durch die Franzosen betreffend.
An das B e z i rk s a m t Offenburg in G e n g e n b a c h
„Heute Morgen, kurz nach 8 Uhr, rückten französische Kavallerieabteilungen in einer Stärke von etwa 120 Mann, nebst 10 Gendarmen und 3 Kriminalbeamten in Ortenberg ein. Rings um Ortenberg wurden auf sämtlichen Strassen, Wegen und Pfaden Posten aufgestellt, deren Aufgabe es war, niemanden mehr aus Ortenberg hinauszulassen. Als Unterzeichneter um 8 Uhr in Ortenberg ankam, deutete nichts auf eine bevorstehende Besatzung hin. Zahlreiches Publikum strömte dem Bahnhof zu, um den um 7.57 Uhr in Richtung Gengenbach abfahrenden Personenzug zu benützen.
Etwa um 7.40 Uhr tauchten französische Kavalleristen beim Bahnhof auf, die sich dort trennten und die nach Ohlsbach bzw. Elgersweier führenden Ortsausgänge besetzten. Gleichzeitig ritt der diesen Trupp führende Offizier mit seinem Adjutanten vom Bahnübergange aus auf den Bahnsteig und dort vor das Dienstzimmer des Stationsgebäudes. Der diensttuende Beamte, Obersekretär Josef Haas aus Gengenbach, wurde gerufen, und diesem eröffnet, dass der Bahnhof besetzt sei und vorläufig kein Zug ausfahren dürfe. Inzwischen wurde mir mitgeteilt, dass auch die Besetzung der Post, des Rathauses und die Umstellung der Wirtschaften im Ort selbst erfolgt sei. Hierauf verließ ich auf einem Umwege Ortenberg.
Die nachträglichen Feststellungen ergaben nun noch folgende Einzelheiten:
Die Franzosen drangen in die Räume des Bahnhofs ein, durchsuchten sämtliche Räume, die vorhandenen Akten und die Kasse. In letzterer befanden sich nur geringe Beträge, die die Franzosen beließen. Letztere verwunderten sich, dass nur diese geringen Beträge vorhanden seien. Dies wurde ihnen damit erklärt, dass gerade am Tag vorher die Abrechnung erfolgt und das Geld abgeliefert worden sei. Hierauf wurde der zur Abfahrt bereitstehende Personenzug und die Güterwagen durchsucht. Ein um diese Zeit einfahrender Güterzug, wurde durch den Zugführer sofort nach Erkennung der Gefahr wieder nach Gegenbach zurückgeleitet, bevor die Franzosen seiner habhaft werden konnten. Der ganze Bahnhof wurde besetzt gehalten und der Verkehr erst um 12 Uhr mittags wieder frei gegeben. Von da an verkehrten die Züge wieder fahrplanmäßig. Verhaftungen bzw. Beschlagnahmungen erfolgen dort nicht.
Die Post wurde sofort beim Einrücken der Franzosen besetzt. Mit dem Revolver in der Hand frugen die Eindringenden auf dem Postamt nach dem Direktor. Alsdann frugen dieselbe nach den vorhandenen Reichs-Hilfsmarken. Als ihnen geantwortet wurde, dass solche nicht vorhanden seien, erbrach ein Offizier mit einem Stemmeisen eine verschlossene Tischschublade und durchsuchte erfolglos deren Inhalt.
Mit vorgehaltenem Revolver drangen dieselben auch in den Telefonraum ein, woselbst ein Offizier der gerade telefonierenden Telefonistin Kempf den Revolver auf die Brust setzte. Hierauf wurde die Tätigkeit eingestellt, so dass eine telefonische Verbindung mit Ortenberg nicht mehr möglich war. Wie Oberinspektor Neumeyer mitteilte, wurde auf dem Postamte nach dem Unterzeichneten gefahndet. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ich in letzter Zeit anlässlich der Überwachung fast täglich zur Post kam, woselbst ich meine Vertrauensleute hatte. Durch einen französischen Spitzel scheint dies verraten worden zu sein.
Auf der Briefpostabteilung, die ebenfalls umstellt war, wurde die Öffnung der lagernden Briefpostbeutel der Sendungen für Offenburg und die Vorlage des Inhaltes verlangt. Den anwesenden Postunterbeamten untersagte Herr Oberinspektor Schwarz dies wiederholt, was zur Folge hatte, dass Schwarz festgenommen und nach dem Rathaus verbracht wurde.
Von 10 Uhr vormittags bis ½ 1 Uhr mittags musste Schwarz dort verbleiben, worauf er wieder frei gelassen wurde. Auf der Briefpostabteilung hatten die Franzosen inzwischen selbst die Postbeutel geöffnet, die Briefe durchstöbert und einige geöffnet, die sie nach Kenntnisnahme vom Inhalt wieder zurücklegten. Außer einigen Zeitungsexemplaren soll nur ein Brief, der an das Bezirksamt in Gengenbach oder dem Herrn Staatsanwalt hier adressiert war, beschlagnahmt worden sein.
Der Bürgermeister wurde inzwischen ½ 8 und 8 Uhr in seiner Wohnung von zwei französischen Offizieren aufgesucht. Dort wurde ihm ein in französischer Sprache gefasstes Schriftstück vorgelegt und ihm den Inhalt übersetzt. Dieser lautete dahingehend, dass die Orte Ortenberg, Elgersweier, Schutterwald, Fessenbach, Zell-Weierbach, Rammersweier und Ebersweier als besetzt gelten, wenn auch eine militärische Besetzung nicht erfolge. Die Befehle der Rheinlandkommission seien auch in diesen Gemeinden maßgebend und für die Befolgung der Bürgermeister verantwortlich. Bürgermeister Danner musste alsdann durch Unterschrift bestätigen, dass er davon Kenntnis erhalten habe. Weiter wurde derselbe nicht belästigt.
Auf dem Rathause war Ratsschreiber Sieferle anwesend, von dem der Zutritt zum Archiv verlangt wurde. Sämtliche Akten wurden dort durchsucht und dem Vernehmen danach die noch vorhandenen Unterlagen zur früheren Stammrolle beschlagnahmt. Die Abgabe einer Quittung hierüber wurde verweigert. Sonst hat sich auf dem Rathause nichts ereignet.
Am heutigen Tag sollten in Ortenberg durch den Eisenbahnsekretär Hurst an die Arbeiter der Bahnmeisterei Offenburg Auszahlungen erfolgen. Während die übrigen mit der Auszahlung des Geldes beauftragten Beamten die für sie bestimmten Beträge bereits am Tage vorher nach anderen Orten verbracht hatten, verwahrte der oben genannte den auf ihn entfallenden Betrag in Höhe von etwa 10 Millionen in seiner Wohnung. Den Franzosen scheint sowohl die Auszahlung selbst als auch der betreffenden Beamten verraten gewesen zu sein. Dies geht daraus hervor, dass die Franzosen nach Umstellung der Wirtschaft zur „Krone“, woselbst sie die Auszahlung vermuteten, nach Hurst frugen. Als sie hierauf dessen W Wohnung ausfindig gemacht hatten, begaben sie sich dorthin und fanden bei der Durchsuchung den oben genannten Betrag in einem Schranke des Hurst vor.
Das Geld wurde beschlagnahmt und Hurst festgenommen. Um 4 Uhr nachmittags wurde Hurst mit dem Gelde per Auto nach Offenburg abtransportiert. [Hier finden Sie Infos zum weiteren Schicksal von Eisenbahnsekretär Hurst.]
Die Wirtschaften wurden umstellt und die Gäste durchsucht, mit Ausnahme weniger Wirtschaften. Auch auf den Straßen wurden zahlreiche Passanten kontrolliert. Auch auf den Straßen wurden zahlreiche Passanten kontrolliert, jedoch sind Verhaftungen nicht bekannt geworden.
Die Fahrgäste, die bereits im Zug Platz genommen hatten, mussten diesen verlassen. Erst gegen 12 Uhr wurde der Verkehr frei gegeben, jedoch verblieben die Posten noch an den Ortsausgängen bis gegen 4 Uhr nachmittags. Um 4.15 Uhr rückte das gesamte Militär restlos wieder ab und begab sich nach Offenburg.
Das verwendete Militär war ein Teil der Offenburger Besatzung. Infanterie wurde nicht verwendet und war auch solche nicht im Anzuge.
Hengst, Polizei-Kommissär