Hier soll die Geschichte des alten Kanzleihofs unterhalb des Schlosses Ortenberg beleuchtet werden. Die Rettungsgrabung im Frühjahr 2022 brachte zahlreiche Fundstücke und Erkenntnisse, die in dieser Zusammenfassung vorgestellt werden sollen. Hier geht es zum ausführlichen Bericht.
Über die Rettungsgrabung, die von Januar bis Oktober 2022 neben der Metzgerei Stigler an der Hauptstraße 24 durchgeführt wurde, liegt eine erste Publikation1 vor, die hier in Auszügen wiedergegeben wird.
Die Bebauung des Geländes an der Überlandstraße setzte im 15. Jahrhundert ein. Am Nordrand der Grabungsfläche fanden sich mindestens sechs Hauskeller bzw. Gruben, zum Teil mit Ausmauerung. Die Verfüllung der Kellergruben zeichnete sich durch ein extrem hohes Fundaufkommen aus: Neben großen Mengen an Keramik, vorwiegend rot gebrannte Irdenware, wurden viele Glasfunde des frühen 16. Jahrhunderts geborgen. Das Formenspektrum umfasst formgeblasene Becher und Nuppengläser, darunter ein vollständig erhaltener Krautstrunk.
Im Süden ist der Grundriss eines 14m langen und 9 m breiten Hauses erkennbar. Der östliche Gebäudeteil war unterkellert, der 40 m2 große, nur etwas über 1 m eingetiefte Raum wies Reste eines Kieselpflasters auf. In der näheren Umgebung des Hauses fanden sich zahlreiche Fingerhüte aus einer Kupferlegierung, Kreidesteine und Bronzenadeln, die man auf die zwischen 1539 und 1559 dort betriebene Schneiderwerkstatt zurückführen kann.
Die ältesten Baubefunde waren von einer teilweise über 50 cm mächtigen Schicht aus eingeschwemmtem Auelehm überlagert. Sie wurden offenbar infolge eines oder mehrerer Hochwasser zerstört und nicht wiederaufgebaut. Im Kinzigtal sind in der Mitte des 16. Jahrhunderts mehrfach Hochwasserereignisse urkundlich überliefert.
Die erfassten baulichen Reste des Kanzleihofs fanden sich unmittelbar an der ehemaligen Landstraße. Die Baugeschichte des mehrfach umgebauten Komplexes ist noch nicht abschließend geklärt. Der älteste, 1559 errichtete, 10 m lange und mindestens 7 m breite Gebäudetrakt lag an der Straße und ist im nördlichen Bereich teilunterkellert.
Der hofseitige Anbau wurde offenbar erst nach den Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg ab 1648 errichtet. In der Südhälfte des 13 m langen und 8 m breiten Anbaus lag ein überwölbter Keller, vermutlich mit Plattenboden. Es war auf Laufniveau ein etwa 30cm hoher Topf mit Innenglasur ohne Rand eingelassen, der mit großer Wahrscheinlichkeit als Mausefalle diente.
An der Nordwestecke des Anbaus lag ein Rundturm von 4 m Durchmesser für eine Wendeltreppe, über die das Obergeschoss erschlossen wurde. Ein Brunnen am Südrand des Gehöfts sicherte schließlich die Wasserversorgung des Kanzleihofs.
Nach der Verlagerung der Verwaltung nach Offenburg wurde die Einrichtung 1689 aufgegeben.
1„Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2022“, S. 326-330, Dr. Bertram Jenisch, Stv. FB-Leiter Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit vom Landesamt für Denkmalpflege, Dr. Lucie Siftar und Dr. Andreas Hanöffner vom Archäologischen Baustellenservice in Süddeutschland.